Die Zusammenarbeit von Menschen auch mit klassischen Industrierobotern ist eines der Forschungsthemen am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung.

Die Zusammenarbeit von Menschen auch mit klassischen Industrierobotern ist eines der Forschungsthemen am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung. (Bild: Fraunhofer IPA / Rainer Bez)

Welche Rolle werden Industrieroboter in den nächsten Jahren einnehmen? Wie lange bleibt der Mensch in seiner Alltagskompetenz noch die treibende Kraft im Betrieb? Welche Bereiche der industriellen Produktion empfängt der digitale Kollege künftig mit offenen Roboterarmen?

Dr.-Ing. Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Dr.-Ing. Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer IPA (Bild: Fraunhofer IPA)

Dr.-Ing. Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, forscht mit seinem Team an Robotern und Automatisierungslösungen für industrielle Anwendungen sowie den Dienstleistungsbereich.

Im Interview mit Kollegeroboter.de erzählt Kraus, warum die Robotik-Forschung und Industrie eng zusammenarbeiten, wie es um den Forschungsstandort Deutschland bestellt ist und wo Industrieroboter noch an ihre Grenzen stoßen.

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Ziel ist die ‘Automatisierung der Automatisierung`

Welchen Automatisierungsgrad haben industriell eingesetzte Robotersysteme bereits erreicht?

Dr.-Ing. Werner Kraus: Einmal in Betrieb genommen, ist der Automatisierungsgrad in den klassischen Anwendungsfeldern wie der Automobilproduktion sehr hoch. Die Roboter dort arbeiten oft über Jahre mit höchster Zuverlässigkeit. Hier sollte man allerdings zwischen automatisch und autonom unterscheiden. Während ersteres keine besonderen ‚Fähigkeiten‘ erfordert und der Roboter für diesen Einsatz vollständig ‚hart‘ programmiert wird, braucht es für autonomes Agieren kognitive Funktionen.

Das heißt...

Kraus: Das bedeutet, der Roboter ist mit passender Sensorik wie Kameras oder Kraft-Momenten-Sensoren ausgestattet, verarbeitet die erzeugten Daten und kann daraufhin seine Aktionen eigenständig planen und ausführen. Diese kognitiven Funktionen brauchen wir insbesondere, weil sich die Produktion zunehmend von der Massenfertigung hin zu einer stärker personalisierten Produktion entwickelt, die aber gleichzeitig sehr kostengünstig sein soll. Der Roboter sollte deshalb auf Varianten oder Toleranzen im Prozess reagieren können, weil die ‚harte‘ Programmierung hier schnell an die wirtschaftlichen Grenzen stößt. Beispielsweise der Einsatz von maschinellem Lernen ist hier ein Game-Changer, weil es Programmieraufwände reduziert oder perspektivisch gar obsolet machen soll.

Gibt es weitere Bereiche mit Optimierungspotenzial?

Kraus: Wo es zudem noch viel Luft nach oben im Kontext der Automatisierung gibt, ist das Einrichten und Inbetriebnehmen. Dieses erfordert aktuell noch umfangreiches Fachwissen sowohl im Prozess selbst als auch in der Robotik. Das nötige Robotik-Wissen hier deutlich zu reduzieren, ist das Ziel unserer Forschungstätigkeiten rund um die ‘Automatisierung der Automatisierung`, wie wir es nennen.

Wo liegen die Grenzen der Robotik im industriellen Einsatz?

Kraus: Tatsächlich habe ich einige Grenzen ja bereits angedeutet: Für eine roboterbasierte Fertigung kleiner Losgrößen verhageln die Programmieraufwände oft den wirtschaftlich sinnvollen Einsatz. Auch bereiten viele Bauteile noch Probleme: Biegeschlaffe, sehr dünne, spiegelnde oder sich verhakende Bauteile sind beispielsweise schon für das Vereinzeln eine Herausforderung. Hier arbeiten wir aktuell an einem KI-basierten Griff-in-die-Kiste, der sich genau dieser für Roboter herausfordernden Bauteile annimmt: Er kann beispielsweise Verhakungen selbstständig erkennen und den Griff so planen, dass sie sich lösen.

Eine weitere Entwicklung aus unserem Hause – das Tool NeuroCAD – dreht sich darum, mithilfe einer KI-basierten Analyse von STEP-Dateien bereits in der Planungsphase eines Bauteils zu erfahren, wie gut es sich automatisiert zum Beispiel vereinzeln lässt. Erfährt man dies noch in der Planungsphase, können hohe Kosten oder gar eine am Ende manuelle Vereinzelung frühzeitig vermieden werden.

Welche Herausforderungen in der Robotik-Forschung sehen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen?

Kraus: Hier sehe ich insbesondere drei Herausforderungen: das sogenannte `Frontloading`, die Frage der neuen Märkte und schließlich eine bessere Zusammenarbeit.

Die Automatisierungsbranche ist stark im Entwickeln und Bereitstellen von Komponenten. Dieses Feld wird gut verstanden. Auch die Anlagentechnik und die Auswahl der passenden Komponenten funktioniert noch gut. Wo es dann oft hakt, ist eine abgesicherte Planung und Konzeption. Wir brauchen Tools, die ein Konzept frühzeitig absichern können. In der Fahrzeugentwicklung funktioniert dies unter dem Stichwort des Frontloading bereits seit Jahren sehr gut. Wenn ich von Anfang an abgesichert unterwegs bin, habe ich am Ende quasi keine Risiken. Dieses Denken und Handeln müsste sich in der Automatisierung meiner Meinung nach noch mehr durchsetzen.

Gesellschaftliche Debatte einbeziehen

Wie sieht es in Bezug auf die Märkte aus?

Kraus: Robotik eröffnet vielfältige Möglichkeiten, drängende Herausforderungen unserer Gesellschaft wie den Fachkräftemangel, den demografischen Wandel, Nachhaltigkeitsziele oder auch die erforderliche Ressourceneffizienz zu meistern. Hierfür müssen aber die Robotik und somit auch in erster Linie wir in der Forschung ausgetretene Pfade verlassen. Die klassische Industrieroboter-Installation ist dann nicht passend. Stattdessen gilt es, Anwendungen für ganz neue Märkte zu entwickeln, in denen Roboter bisher keine oder nur eine kleine Rolle spielten.

Wir müssen hierfür ganzheitlich denken und Themen wie einfache und intuitive Bedienbarkeit, Sicherheit, Gestaltung der Roboter, Finanzierungsmöglichkeiten und auch die gesellschaftliche Debatte rund um die Akzeptanz in unsere Tätigkeiten mit einbeziehen. Beispielsweise für die stationäre Pflege sind wir hier sehr aktiv, aber auch in der Reinigungs- oder Landwirtschafts-Robotik.

Worum geht es beim Thema Zusammenarbeit genau?

Kraus: Bei der Zusammenarbeit beobachte ich, dass in der Robotik-Forschung noch zu oft das Rad neu erfunden wird. Die Entwicklung eines Robotersystems ist komplex und erfordert das Wissen verschiedener Disziplinen. Es ist deshalb wichtig, dass sich die Forschung hier immer besser vernetzt und auf bereits Erreichtem aufbaut. Von der EU gibt es dazu mehrere Initiativen, in denen wir uns engagieren. Und auch das Thema Open-Source-Software kommt hier zum Tragen. Denn viele Roboter benötigen grundlegende, aber komplexe Fähigkeiten. Diesen Flaschenhals des aufwendigen Engineerings aufzubrechen ist meiner Ansicht nach entscheidend für erfolgreiche neue Entwicklungen.

Sie kooperieren auch viel mit Unternehmen. Warum ist die Sicht der Industrie bei Ihrer Forschungsarbeit wichtig?

Kraus: Diese Sicht ist deshalb entscheidend, weil Forschung ja kein Selbstzweck ist. Sie sollte den Menschen, unserer Gesellschaft und Wirtschaft über kurz oder lang dienen. Insbesondere die Fraunhofer-Gesellschaft hat sich deshalb der angewandten Forschung verschrieben. Das heißt, die zentrale Mission von Fraunhofer ist der Transfer von Forschungsergebnissen in die Anwendung.

Grundlage für diesen erfolgreichen Transfer sind das Wissen über die Bedarfe der Industrie und über die Eigenschaften der Märkte, in denen die Unternehmen agieren. Nur so sind wir sicher, dass wir nicht ‚am Markt vorbei‘ forschen. Das hierfür erforderliche Wissen erlangen wir durch den direkten Austausch mit der Industrie und nutzen es für eine fokussierte Entwicklung neuer Anwendungen rund um Robotik und Künstliche Intelligenz, die eben genau die ermittelten Bedarfe treffen.

Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich bei der Forschung nach autonomen Robotersystemen?

Kraus: Meines Erachtens sind die ‘Manpower’ und die Budgets, die in autonome Roboter fließen, in Ländern wie USA und China größer als in Deutschland. Dennoch braucht sich Deutschland keinesfalls mit seinen Forschungsaktivitäten verstecken. Forschungs-Leuchttürme finden sich beispielsweise in den Regionen München, Karlsruhe und Stuttgart. Letztere besticht durch Europas größte KI-Forschungskooperation Cyber Valley. Dort betreiben Einrichtungen wie die Universitäten Stuttgart und Tübingen, das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und Fraunhofer gemeinsam mit Industriepartnern sowohl Grundlagen- als auch stark anwendungsorientierte Forschung.

Die Einbindung industrieller Anforderungen in die Forschung, wie ich sie in der vorherigen Antwort ansprach, gelingt uns in Deutschland sehr gut, sodass der Wirkungsgrad unserer Forschung besser als in anderen Ländern sein dürfte. Ein Beispiel für diesen erfolgreichen Technologietransfer ist unser KI-Fortschrittszentrum, das wir gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO leiten.

Die Grundlagen zum Thema Robotik

Mit dem Thema kollaborative und Low-Cost-Robotik kommen auf Mittelstand und Handwerksbetriebe ganz neue Fragestellungen zu. Im folgenden finden Sie die wichtigsten Grundlagen verständlich erklärt:

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