Ein Kuka Roboterarm steht bereit auf einem Arbeitstisch.

Moderne Gefahrenprävention: „Dank des parameterbasierten Robotermodells ist es grundsätzlich möglich, jeden Robotertyp, der sich für den kollaborativen Betrieb eignet, im Cobot-Planer zu verwenden“, so das Fraunhofer IFF. - (Bild: Fraunhofer IFF, Stefan Deutsch)

Wie schnell darf sich ein Cobot bewegen, damit er einem Menschen keine Schmerzen zufügt? Eine Antwort auf diese Frage liefert das Forschungsprojekt „Digitale Gefahrenprävention für kollaborative Roboterarbeitsplätze mithilfe einer webbasierten Planungshilfe“ des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) im Auftrag der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM). Seit März 2021 steht der webbasierte, kostenlose Cobot-Planer zur Verfügung, der Anwender bei der sicheren und effizienten Auslegung ihrer kollaborativen Roboter unterstützt und damit einen verbesserten Arbeitsschutz gewährleistet.

„Der Cobot-Planer zeigt dem Roboter-Programmierer beziehungsweise der Programmiererin, bei welchen Geschwindigkeiten ein sicherer Betrieb einer Mensch-Roboter-Kollaboration möglich ist; vor allem dann, wenn sich Mensch und Roboter berühren können“, fasst Projektleiter Dr. Roland Behrens vom Fraunhofer IFF die Aufgabe der neuen Planungshilfe zusammen.

Cobot-Planer: Das sind die technischen Grundlagen

Für kollaborative Roboter – also Roboter, die ohne zusätzliche Sicherheitssensoren wie Laser-Scanner Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten – war es bislang nur mithilfe einer messtechnischen Risikobewertung möglich, die Geschwindigkeiten zu bestimmen, die maximal erreicht werden dürfen. Hierbei wird mit einem Kraft- und Druckmessgerät geprüft, ob der Roboter bei einer Kollision mit dem Menschen die biomechanischen Grenzwerte der ISO/TS 15066 einhält.

Die seit 2016 gültige Norm ISO/TS 15066 legt den zulässigen Schmerz bei Berührungen – beispielsweise einem Stoß oder einer Klemmung – zwischen Mensch und kollaborierendem Roboter fest. Zusammen mit der DIN EN ISO 10218 gibt die Norm Hilfestellung bei den Themen Risikobeurteilung und Validierung für die sichere Robotik im industriellen Umfeld.

Für die Messung muss das Robotersystem allerdings vollständig aufgebaut und programmiert sein. Überschreitet der Roboter die biomechanischen Grenzwerte, ist es notwendig, seine Geschwindigkeit zu reduzieren. Ein solcher Schritt ist in der Regel unerwünscht, da er die Taktzeit des Robotersystems erhöht und dessen Wirtschaftlichkeit verringert. „Wenn diese erforderlichen Anpassungen des Systems im Betrieb womöglich nicht durchgeführt werden, ist das ein ernstzunehmendes Risiko für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten“, gibt Dr. Matthias Umbreit von der BGHM in Mainz zu Bedenken, der das Forschungsprojekt initiierte. Der Cobot-Planer soll dieses Risiko vermeiden und dabei unterstützen, Mensch-Roboter-Kollaborationen sicher und gesund zu gestalten – und das schon in der Planungsphase.

Cobot-Planer reduziert Engineering-Aufwand

Erik Sebastian, der das Forschungsvorhaben seitens der BGHM leitete, bezeichnet die Planungshilfe als ein „ideales und zeitgemäßes Werkzeug: Das haben bereits Tests in verschiedenen Betrieben gezeigt. So geht moderne Gefahrenprävention“.

Seiner Ansicht nach ist der Cobot-Planer nicht nur für Betreiber von Arbeitsplätzen mit MRK nützlich. „Auch Fachkräfte für Arbeitssicherheit können ihn beispielsweise zur Gefährdungsbeurteilung nutzen“. Prof. Norbert Elkmann, Geschäftsfeldleiter Robotersysteme am Fraunhofer IFF, spricht von „einem wichtigen Meilenstein, um den Engineering-Aufwand bei der Umsetzung zukünftiger MRK-Applikationen deutlich zu reduzieren“.

Der Cobot-Planer ist als interaktive Web-Anwendung konzipiert. „Über die intuitive Benutzeroberfläche beschreiben Nutzerinnen und Nutzer in nur drei Schritten ihre Robotersysteme und die bestehenden Kollisionsgefahren. Anschließend simuliert der Cobot-Planer die Gefahrensituationen und ermittelt aus den Ergebnissen die maximal zulässigen Geschwindigkeiten, bei denen der Roboter die Grenzwerte aus ISO/TS 15066 noch einhält“, erklärt Projektleiter Behrens die Funktionsweise der Web-Anwendung, die über jeden aktuellen Internet-Browser nutzbar ist.

Da es sich bei den Eingabedaten durchaus um sensible Informationen handeln kann, soll eine strenge Richtlinie dafür sorgen, dass der Cobot-Planer Daten nicht dauerhaft speichert. Nutzer können auf Wunsch alle Eingabedaten herunterladen und zu einem späteren Zeitpunkt wiederverwenden.

in einer Simulation arbeitet eine Frau mit einem Roboter ohne Schutzzaun zusammen
Überschreitet der Roboter die biomechanischen Grenzwerte der ISO/TS 15066, ist es notwendig, seine Geschwindigkeit zu reduzieren, um Verletzungsgefahren für den Mensch zu vermeiden. - (Bild: Fraunhofer IFF)

Zusammenarbeit mit Unfallchirurgie-Spezialisten

Die technologische Grundlage des Cobot-Planers bilden verschiedene Modelle, die die Wirkung eines Kontaktes zwischen Mensch und Roboter präzise nachbilden sollen. Bisher bekannte Modelle waren laut dem Fraunhofer IFF sehr ungenau.

Zu den für den Cobot-Planer verwendeten Modellen zählen ein Gefährdungs- und ein Robotermodell sowie ein biomechanisches Modell des Menschen. „Dank des parameterbasierten Robotermodells ist es grundsätzlich möglich, jeden Robotertyp, der sich für den kollaborativen Betrieb eignet, im Cobot-Planer zu verwenden“, heißt es weiter aus Magdeburg.

Das biomechanische Modell des Menschen geht zurück auf die Ergebnisse der Probandenstudien des Fraunhofer IFF, die es weltweit einmalig und im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und der BGHM zur Ermittlung biomechanischer Grenzwerte durchführte. Die Simulationsergebnisse des Cobot-Planers hat das Fraunhofer IFF zusammen mit Ärzten der Klinik für Unfallchirurgie der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg und unter Einbindung der zuständigen Ethikkommission experimentell in Belastungsversuchen mit Probanden validiert.

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